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DIE REISE VON GREIFSWALD NACH BAD OEYNHAUSEN
[ Der erste Brief ist mit Bleistift geschrieben, zum Teil schwer entzifferbar; eindeutig identifizierbare Abkürzungen - wie "u.", "viell." oder "Bln." - wurden der besseren Lesbarkeit wegen ausgeschrieben, ansonsten Rechtschreibung und Zeichensetzung des Originals beibehalten. Ellrich liegt im Harz. JR ]
Ellrich, 20.12.45
Meine ganz liebe Trude!
Täglich habe die Kinder und ich bei unserem schwierigen Unternehmen von Dir gesprochen. Nun sollst Du von mir einen zusammenhängenden Bericht haben, bis heute, Donnerstag. Also: die Fahrt hat an Mühen meine Erwartungen übertroffen, aber die Kinder an Tüchtigkeit und Bravheit ebenfalls. Nun bin ich heute bis direkt an die Grenze gekommen, habe den Passierschein und komme, falls ich eine Nacht bei Ruth [ Ruth Rühling, geb. Reichow, seine Schwester, die bereits von Berlin nach Goslar gezogen war, später in Hannover lebte, gestorben 2005. JR ]bleiben werde, Sonnabend oder Sonntag in Oeynhausen an. So wird die Reise also wenigstens nicht vergeblich sein, was ich zeitweise fast befürchtet habe. - Nun von vorn: als Käthe uns am Sonntag verlassen hatte, kam der Zug gleich, fuhr aber mit erheblicher Verspätung ab. In Stralsund lagen wir 5 Stunden, um 17½ ging es los. Ankunft in Berlin gegen frühen Morgen. Das Abteil war noch leidlich geschützt gegen Kälte. Russen leuchteten gelegentlich hinein, doch habe ich nur einmal festgestellt, daß sie einen Koffer mitgenommen haben. In Berlin fuhren wir also gleich zu Dora Schmidt [ Schwester der Schwägerin Hildegard Reichow, JR ], die uns nett aufnahm, die Kinder mit Weißbrot behandelte und uns nachts gut erholen ließ. Meine Fahrt nach Werder [?]) wurde aber durch die Verkehrsverhältnisse verhindert. [ Gemeint ist wohl das Werder westlich von Potsdam, heute Bundesland Brandenburg im Landkreis Potsdam-Mittelmark. JR ]Es fahren nur ganz wenige Züge, sodaß man an einem Tage nur hin und zurück kommt, wenn man den ersten morgens schnappt. Den bekam ich nicht, der nächste fiel aus, sodaß ich erst am nächsten Vormittag hätte weiterkommen können, also über 2 Tage Aufenthalt. Nun war aber durch Plakate bekannt gemacht, daß vom 20.12. bis 3.I. absolute Grenzsperre ist. So entschloß ich mich, Werder auf die Rückreise zu verlegen. Am Dienstagmorgen kamen wir, da die S-Bahn zu spät für meinen 7° Zug begann, am Bahnhof Zoo an, als der bereits abgefahren war. Wir also in die S-Bahn, um ihn in Charlottenburg einzuholen. Auch dort war er bereits fort. Als wir dann auf dem Anhalter Bahnhof ankamen, sahen wir den 8.30 Zug gerade aus der Halle fahren. Nun hieß es warten bis 17° nachmittags. Du mußt Dir diese Fahrerei mal plastisch vorstellen. Und wenn es mal garnicht spannend genug war, mußte Jan plötzlich "klein" oder gar "groß" (dieses mindestens 2 x täglich. Bernd hält immer sehr lange aus. Meine Nerven hatten immer allerhand auszuhalten. Aber ich habe trotzdem fast nicht geschimpft mit den [ dem? ] Kleinen, u. Jan sagt immer wieder "mein lieber, lieber Papa". Aber auch von Dir sprechen sie immer. Weiter also: Am Anhalter Bahnhof war auch ein Lokal offen, dort gab es [ sogar? unleserlich JR ] Bohnenkaffee u. echten Tee, keinen 2.)
3.) bei einem Bäcker für 20,- M ein großes Brot u. 6 Brötchen, sodaß ich aus der Sorge, die mich sehr beschäftigte, heraus bin. Hoffentlich komme ich morgen gleich weiter bis Goslar. Hier habe ich eine Privat-Unterkunft besorgt, u. seit 2° mittags - jetzt ists 20° - schlafen die Kleinen wie Murmeltiere, gleich durch bis morgen früh. Ich tue gleich dasselbe. Von Goslar aus kriegst Du mein Telegramm, das Du wohl früher hast als diesen Brief. Die Kleinen sind über alles Lob erhaben. Kaum hatte ich sie aus ihrem Schlaf in der Bahn gerissen zum Aussteigen, waren sie schon hellwach, und bald pfiffen und sagen [ soll heißen: sangen JR ] und jaulten sie wieder in bester Stimmung. - (Fortsetzung folgt) Wie mags Dir gehen, mein liebes, gutes Trudchen? Immer habe ich danach gefragt unterwegs. Ob ich Dich wohl schon gesünder antreffe? Hoffentlich. Mein Telegramm schicke ich mit Rückantwort, Telefonieren ist vielleicht zu riskant, falls niemand bei Scheuffele in der Wohnung ist. Es ist bitter, daß wir nun Weihnachten und vielleicht sogar Neujahr getrennt sein müssen. Aber andererseits ist kein Preis zu hoch dafür, daß die Kinder in guter Verpflegung sind, und vielleicht schaffe ich es doch noch zum 31.12., trotz der Sperre. Auf jeden Fall haben wir viel geschafft, wenn die Kinder in Oeynhausen sind. Nun, meine Trude, sei nicht traurig zu Weihnachten, sondern freue Dich, daß Deine Familie sich wohl bei Deinen leiblichen Eltern befindet. Traurig ist, daß ich nun kein Material für Kuchen u.s.w. rechtzeitig zu Euch bringe, aber das kommt ja alles nach, hoffe ich. Nun also eine ausgeglichene, hoffnungsvolle Stimmung für Weihnachten, einen guten Heiligen Abend, klare und zufriedene Festtage, hoffnungsvolle Tage am Ende des Jahres, glückliche Fahrt ins neue Jahr und kurz vor oder nachher frohes Wiedersehen mit Deinem Artur. Grüße Käthe , Willi u. Kurt herzlichst und sage ihnen meine guten Wünsche fürs Fest u. ihre persönlich Zukunft. An Dich denke ich jede Stunde, grüße Dich herzlichst und küsse Dich nochmals innig - Dein Artur Am 18. traf ich Lene Klotz in Berlin, ausg??? [ letzte Zeile unleserlich ] Mitte Dez. in Roggow gewesen! [ Brief mit Tinte geschrieben ] (Lohe bei Bad Oeynhausen) 23.12.45
Meine liebe, gute Trude! Die erste Nacht in Oeynhausen liegt hinter uns. Gestern morgen kamen wir glücklich an und waren etwa um ½ 11° nach langem Marsch über Gohfeld und durch das Siekertal bei Euch. Gleich wollte ich auf der Lohe ein Telegramm aufgeben. Da aber die Post noch kein Telefon hat, sollte es erst am Montag, also morgen, zur Hauptpost gehen. Ich fuhr also mit Vaters Rad gleich runter zur Post u. hörte zu meinem Erstaunen, daß man hier noch nichts von der Eröffnung des Telegramm und Telefon-Verkehrs mit der russischen Zone weiß. Nun liegst Du also da und wartest auf das Telegramm und bist unruhig, da es nicht kommt. Das tut mir so leid. Zwar soll dieser Brief per Eilboten gehen, aber 5-6 Tage dauert es ja immer. Nun liegst Du also ohne einen Weihnachtswunsch zu Hause, und Deine Familie ist weit von Dir. Dafür sind aber unsere Gedanken unentwegt bei Dir, und sprechen tun wir fast dauernd von Dir. Mutter hat sich so gefreut über Deinen Brief. Deine Liste sind wir auch schon durchgegangen. Die Kinder spielen vergnügt in der warmen Küche, in der ein eiserner Ofen steht mit viel Ofenrohr (gleich links vom Eingang) gestern haben wir gleich zusammen Heu auf den Boden gehievt. Tante Jette schläft nun bei den Nachbarn (Lenchen), [ Tante Jette, gestorben etwa 1949, Henriette Arnhölter, Schwester von Heinrich Arnhölter, dem Vater von "Trude". Nachbarn: Fam. Begemann, "Lenchen" Begemann, geb. Arnhölter; ihr Vater war ein Bruder von Heinrich A. ] da ein Bett von den zweien aus dem Zimmer, in dem wir immer schliefen, verliehen ist an einen Kunden, der erst wieder ein anderes dafür geliefert bekommt. Jan schläft bei der Oma, Bernd bei mir. Die Butter ist knapp zur Zeit, da die eine Kuh schon Ende Dezember-Anfang Januar milch (melk) wird, die andere im März. Aber sonst wird wohl eine Menge mitzubringen sein. Wenn ich nur alles durchbringe! Eine Zigarre habe ich (mir) gestern abend schon genehmigt. Es ist hier alles beim alten. Die Eltern leben nicht schlechter als vor dem Kriege. Von der engl. Besatzung merken die Menschen sehr wenig hier (Ich kann mit diesem Tinten-Kuli noch schlechter als sonst schreiben.) - Ich bin nun sehr froh, daß diese 7tägige Reise ein glückliches Ende gefunden hat. Ich möchte sie aber nicht gern noch einmal machen. Die Kinder haben sich wunderbar benommen, ich muß sie loben. Ich habe sie auch kaum beschimpft, trotzdem ich oft nervös genug war. Allein auf dem Heimwege vom Bahnhof mußte ich Jan 2x abknöpfen, erst für "klein" u. nach 10 Minuten für "groß", Im Gasthaus im Siekertal haben wir noch Einkehr gemacht. Als wir hier ankamen, war nur Tante Jette da, die Eltern kamen nach etwa einer Stunde und waren hocherfreut. Sie hatten sich schon viel Sorgen gemacht. Nun will ich Dir noch die Fortsetzung der Reise geben.
Gepäck und gingen neben den von Kühen gezogenen Wagen her. Jan war mutig und hatte die Kühe schon oft angefaßt. Kurz vor dem Schlagbaum war erstmal eine Wartepause, dann ging es durch den ersten, wo nur unsere Registrierscheine geprüft wurden. Dann ging es etwa 500 m weiter, wo eine erneute Prüfung und Gepäckkontrolle war. Einiges wurde auch von den Russen geklaut, z.B. ein guter Koffer einfach ausgeleert und mitgenommen. Jan faßte die eine Kuh am Geschirr an und sang dauernd auf den Text: "ich bin ein guter (der beste) Kühelenker" u.s.w. Dann kam noch eine "ärztl." Untersuchung. Entlausung durch Einspritzen von einem weißen Pulver unter die Kleider. Dann gab es einen Stempel auf das Handgelenk und einen provisorischen Ausweis, und dann bekam man auch schon die ersten Engländer zu Gesicht. Ein Aufatmen war bei allen spürbar. In dem Harz-Kurort, dessen Bahnhof (nicht weit von Goslar) unseren neuen Aufenthaltsort bildete, gab es nun erstmal für jeden 6 Brötchen, 25 gr. Butter, 199 gr. Wurst und ein warmes Mittagessen. Ich habe mich satt gegessen wie lange nicht. Eigenartigerweise versagte Bernds Appetit, und auch Jan entsprach im Essen nicht meinen Erwartungen. Von diesem Ort, dessen Name mir entfallen ist, brachte uns eine Fahrt bei herrlichstem Frühlingswetter nach Osterode, wohin wir alle ins Durchgangslager mußten. Hier begann nun ein ewiges Anstehen, Registrieren u.s.w., daß die Geduld auf harte Proben gestellt wurde. Ein Transport sollte uns erst am Sonnabend Nachmittag über Hannover in Richtung Westen bringen. Da habe ich mit vieler Mühe erreicht, daß ich einzeln reisen durfte (hier bedarf es seit einigen Tagen wieder einer Reisegenehmigung, außerdem verkehren Sonntags gar keine Züge) Nun konnte ich Marschverpflegung empfangen, auch nahm ich noch einige Teller Mohrrübeneintopf zu mir, und kam dann noch Freitag abends 19.45 auf die Fahrt, die nach zweimaligen Umsteigen um 23° in Hannover endigte. Dort gerieten wir gleich nach der Ankunft in eine Razzia der Engländer, die etwa 3½ Stunden dauerte. Da ich die Kinder bei mir hatte, durfte ich aber bei den Frauen bleiben und mußte nur in der Vorhalle so lange warten. Anschließend konnten die Kinder noch 2 Stunden auf dem Fußboden im Bunker schlafen - was sie übrigens als komfortable Möglichkeit des Schlafens bezeichneten - dann kam auch schon um 5° morgens der Zug nach Oeynhausen, wo wir gegen 8° eintrafen. Es war natürlich gepfropft voll, aber es ging doch. Die Kinder fanden wieder gute Seelen, bei denen sie auf dem Schooße ein bißchen schlafen konnten, und waren im übrigen aber schon ziemlich munter wegen der bevorstehenden Ankunft. Da man vom Bahnhof nach der Stadtseite hin nicht passieren kann, mußten wir, wie erwähnt, den großen Umweg machen, womit die Kinder sich aber gut abgefunden haben. Gut hat sich auf der Reise die Einrichtung mit den Handschuhen bewährt. Nun ist alles überstanden und ich bin froh, daß die Kinder hier sind. Sie toben augenblicklich in ihren Holzschuhen draußen herum und sind schon ein bißchen übermütig. Sie werden ja stark
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Deinem Artur DIE SITUATION IN GREIFSWALD (S.42-45 aus dem Erinnerungsbuch für Jan, Gertrud Reichow 1990):
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