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22.Juni 2006 WDR 3 Musikpassagen 15:05 - 17:00 Uhr
mit Jan Reichow
Orte der Nähe, ferne Zeiten, Fast-Privates

Carl Philipp Emanuel Bach phantasiert, Tablameister Alla Rakha unterrichtet, Luther Allison singt im Wohnzimmer, Fiddle und Piano im Dubliner Pub, Irischer Beethoven im Irish Pub Hilden, Trio Farkas im Waldhaus Sils-Maria, Gesang beim georgischen Gastmahl, der Sänger Mallikarjun Manasoor im Cricket Club Bombay, Johann Sebastian Bach im Café Zimmermann, Mozart im Trattnerhof, Beethoven im Palais Lobkowitz, öffentliche Stille und klassisches Husten in der Kölner Philharmonie, Depeche Mode verabschiedet sich im Rose Bowl Stadion und anderes
Technik: Alexander Hardt
Redaktion: Bernd Hoffmann

Am Mikrofon begrüßt Sie J.R.; ich möchte Sie heute mit einem Aspekt der Musik beschäftigen, der manchmal in Vergessenheit gerät: sie braucht Nähe, auch wenn sie aus fernen Zeiten zu uns kommt, viele unserer wichtigsten musikalischen Erinnerungen sind mit recht privaten Situationen verknüpft.
Zumindest wenn man selbst ein Instrument erlernt hat oder auch nur in einem Kirchenchor mitgesungen hat. Und ich vermute, dass die klinische Situation der Musikhörens, - man erwirbt eine CD und legt sie zuhaus auf -, einen völlig anderen Effekt hat, wenn man nie mit einem Instrument oder mit Menschen, die selbst Musik machen, in Berührung gekommen ist. Man erfährt allerdings nichts von diesem Defizit, weil man es ja nur bemerkt oder erwähnt, wenn man es nicht hat. Ich erwähne es hier nur, meine Damen und Herren, falls Sie Kinder um sich haben, - als Eltern oder Großeltern -, Sie sind für diesen Faktor zuständig! Ein bürgerlicher Faktor, zweifellos, aber es gibt noch keinen besseren, wir verwenden ja auch immer noch unsere Beine, Arme und Hände, obwohl der Sessel vor dem Fernseher uns eigene Anstrengungen weitgehend erspart.

Es muss Anfang der 50er Jahre gewesen sein, Fernsehen gab es noch nicht, mein Bruder bastelte an kleinen Radioempfängern, es gab sogar einen aufziehbaren Plattenspieler; im ersten Satz der Pathétique, gespielt von Edwin Fischer, musste man vor Eintritt des zweiten Themas die Platte wenden. Es gab eine Geige, einen Flügel und noch ein Klavier im Schlafzimmer.
Einmal im Monat - es ging reihum - probte bei uns das "Bielefelder Kammertrio". Dann wurde die Schiebetür zwischen dem Arbeitszimmer meines Vaters und dem Wohnzimmer geschlossen, die drei Frauen plauderten mit gedämpfter Stimme am Wohnzimmertisch, Kinder saßen zuweilen dabei. Unser Lieblingsstück war das Arensky-Trio: mein Vater saß am Klavier, mein erster Geigenlehrer spielte Geige, der Cellist kam aus Detmold und studierte wohl noch. Später trat an seine Stelle für kurze Zeit der Solocellist des Bielefelder Orchesters. O-Ton 1952.

1) Anton Arensky: Trio d-moll (Ausschnitt, Privataufnahme Reichow) 1:10
Der Anfang des Trios von Anton Arensky; was Sie hier hören, ist tatsächlich eine Originalaufnahme aus Familienbesitz. Seit damals kenne ich auch das Erzherzog-Trio von Beethoven, jedenfalls das Hauptthema, wir waren enttäuscht, dass es nur am Anfang vorkam, so schien es uns jedenfalls, und im Konzert bekamen wir einen Lachanfall, weil wir noch nie erlebt hatten, dass Geige und Cello für längere Zeit zum Pizzicato übergingen. Das hörte man im Wohnzimmer nicht!
2) Ludwig van Beethoven: Trio B-dur op. 97 Satz 1 (Ausschnitt) 1:30
Ausführende: Abegg Trio
TACET 79
Später kam es im Trio zum Zerwürfnis: mein Vater erschien erregt im Kinderzimmer und verlangte nach dem Metronom, aus dem Hintergrund rief der Cellist: das Metronom bringt überhaupt nichts! Sie zerstritten sich über einen Rhythmus! In diesem Thema:
[ 2a) W.A.Mozart, Trio G-dur, letzter Satz ]
Das sitzt mir seit damals in den Knochen: es ging um die Tendenz, den Rhythmus zu verschlampen, also statt: 0 0o0 0 allmählich: 0 0oo 0 zu spielen. Das ist auch wirklich schlimm. Z.B. der erste Satz der Siebten Sinfonie von Beethoven steht und fällt mit diesem präzisen Tanz-Rhythmus.
Ich habe übrigens nie erfahren, wer damals im Recht war.
[ Und jetzt hat mich ein böser Geist gehindert, das Werk zu finden, um das es damals ging; sonst hätte ich es hier angespielt. Vielleicht haben Sie es erkannt? ]
Warum ich das erzähle: es ist die Nähe des Alltags, der Banalität, der kleinlichen Auseinandersetzungen, die den Hintergrund und den Bodensatz des musikalischen Wachsens bilden, es sind unsere Lebensbedingungen; es ist vor allem die unmittelbare Ohren- und Augenzeugenschaft: so entsteht Musik, - wie der Dichter [R.M.Rilke] sagt:
"Und die Musik, immer neu, aus den bebendsten Steinen, baut im unbrauchbaren Raum ihr vergöttlichtes Haus."
Ein zweites Haus, das innerhalb des betretbaren Hauses der Musiker ensteht: Carl Philipp Emanuel Bach erzählt, wie gern sich sein Vater bei Gelegenheit mit braven Leuten unterhielt, weil - so schreibt er wörtlich -
"sein Haus einem Taubenhause u. deßen Lebhaftigkeit vollkommen gliche. Der Umgang mit ihm war jederman angenehm, u. oft sehr erbaulich."
Das sagt man später von Carl Philipp Emanuel selbst auch, sein Haus in Hamburg wurde ein Anziehungspunkt für zahlreiche Besucher, weil man seine Improvisationskunst erleben wollte, die am besten im privaten Umfeld erblühte.
(Musik beginnt)
Der englische Musikfachmann Charles Burney berichtet von einem solchen Besuch: Bach geriet
"dergestalt in Feuer und wahre Begeistrung, daß er nicht nur spielte, sondern die Miene eines ausser sich Entzückten bekam. Seine Augen stunden unbeweglich, seine Unterlippe senkte sich nieder und seine Seele schien sich um den Gefährten nicht weiter zu bekümmern, als nur so weit er ihr zur Befriedigung der Leidenschaft behülflich war. Er sagte hernach, wenn er auf diese Weise öfter in Arbeit versetzt würde, so würde er wieder jung werden."
3) C.Ph.E.Bach Freie Phantasie für Clavier fis-moll H.300 (W.67) (Ausschnitt)2:00
Gustav Leonhardt, Clavichord
SEON Sony Classical CB 622 SBK 61789 (LC 06868)
Noch einmal Charles Burney über Carl Philipp Emanuel Bach:
"Wenn er in langsamen und pathetischen Sätzen eine lange Note auszudrücken hat, weiß er mit grosser Kunst einen beweglichen Ton des Schmerzens und der Klagen aus seinem Instrument zu ziehen, der nur auf dem Clavichord, und vielleicht nur allein ihm, möglich ist hervorzubringen."
4) C.Ph.E.Bach: Abschied von meinem Silbermannischen Clavier H.227 (W.66) (Ausschnitt)1:50
Gustav Leonhardt, Clavichord
SEON Sony Classical CB 622 SBK 61789 (LC 06868)
Sie hören, dass dieses Tasteninstrument, das Clavichord, sogar eine Bebung, ein Vibrato ausführen kann. Es war im Jahre 1781, als Bach ein Clavichord, das aus der Werkstatt Gottfried Silbermanns stammte, offensichtlich schweren Herzens verkauft; denn das wehmütige Stück, das Gustav Leonhardt hier spielte, hat er zu diesem Anlass geschrieben, es hieß: "Abschied von meinem Silbermannischen Claviere". Hamburg 1781.

Sie kennen Mumbai, die indische Metropole? Im Jahre 1994 war ihr Name noch Bombay.

(Musik beginnt)
22. Februar 94: ich möchte einen der großen indischen Musiker unserer Zeit besuchen, am liebsten im heimischen Ambiente. man hat mich bei Alla Rakha, dem legendären Tabla-Begleiter Ravi Shankars, angemeldet. Er war vielleicht nicht so begeistert, wie Carl Philipp Emanuel Bach über den Besuch Charles Burney's, aber er hatte mir einen Termin zugestanden! Unter den verschiedenen Wohnblöcken auf einer Anhöhe fanden wir das "Simla-House", in dem er wohnte, ein etwas garstiges Riesenhaus, mit Aufzug zwar, aber alles wirkt unfertig oder bereits verwohnt, wenn nicht verwildert. In seiner Wohnung ist es anders: da residiert er, lässt den Fernseher ausmachen, als ich eintrete, weist mir einen Ehrenplatz auf dem Sofa an; ich schaue auf den üblichen Trophäenschrank, der hier die ganze Länge der Wand einnimmt, mit Photos, Pokalen, Medaillen. Er fragt mich, was ich ihn denn fragen wolle. Zum Glück ist sein Sohn Faizal Quraishi anwesend, der ihm und mir hilft, denn - im Gegensatz zu seinem Vater - spricht er fließend Englisch. Ich frage ihn, wie er das Tabla-Spiel gelernt habe. Er sagt: anders als sein älterer Bruder Zakir Hussain. Denn als der noch klein war, war der Vater zwar auch schon bekannt, aber noch nicht dauernd auf Reisen. So habe er dem kleinen Zakir viel zeigen und beibrigen können. Er, Fayzal, habe dagegen alles nach Aufnahmen gelernt, und nur bei gelegentlichen Aufenthalten des Vaters zu Hause habe er Unterricht erhalten. Er weiß viel, und er erzählt freimütig. Auf die Frage, ob seine Kinder eines Tages auch Tabla-Spieler werden sollen, antwortet er: soweit sei er noch nicht, aber es sei schon ziemlich wahrscheinlich.
Kann denn das Kind eines Musikers NEIN sagen? Also... es ist einfach so üblich, dass die Kinder in den Beruf des Vaters reinwachsen.
Alla Rakha schaut auf die Uhr und steht auf. Er führt uns das Treppenhaus hinab, hinaus ins Freie, um die nächste Hausecke, zu einem Raum, der auch eine Garage hätte sein können. Darin hört man Tabla-Klänge. Als der Meister eintritt, springen alle auf, um den Gruß zu entrichten.
Eine Inderin aus den USA ist dabei, sie ist Anfängerin, und ein Amerikaner, der zwar trommeln kann, nicht aber die unter Trommlern übliche Silbensprache beherrscht. Ein anderer Amerikaner beherrscht sie dagegen so perfekt, dass der Unterricht weitgehend ohne Instrument stattfindet: nur die endlosen Silbenfolgen der Tabla-Kompositionen werden memoriert.

5) Alla Rakha unterrichtet (Ausschnitte aus Privat-Aufnahme JR) 5:00
Alla Rakha war damals 75 Jahre alt. Er war eine wandelnde Bibliothek rhythmischer Figuren und Zyklen. 6 Jahre später ist er gestorben. Besonders seine wortlose, aber silbenreiche Kommunikation mit dem amerikanischen Tabla-Spieler Ray Spiegel ist mir unvergesslich: manchmal drangen die Klingeltöne von Fahrrädern, die Rufe spielender Kinder von außen herein, - was für eine Ort globaler Verständigung, diese wohnlich ausgebaute Garage eines Wohnblocks in Bombay, was für ein glücklicher Augenblick, diese 80 Minuten, in denen Alla Rakha sich öffnete und ein hochbegabter Vertreter der westlichen Welt mit ihm synchron das riesige Kompendium der zahllosen ungeschriebenen Tala-Kompositionen repetierte. Ray Spiegel hatte allerdings eine eng mit Zeichen und Reihen übersäte Schreibkladde vor sich liegen, aber angesichts des Tempos der Silbenfolgen konnte es nur eine ungefähre Gedächtnisstütze sein.

Ravi Shankar erinnert sich in seiner Selbstbiographie auch an solche Augenblick des Lernens und der Übereinstimmung, wenn er mit Ali Akbar und Anapurna bei ihrem gemeinsamen Lehrer Allaudin Khan beisammensaß, der drei oder vier Stunden unterrichtete, so dass sie jeden Zeitbrgiff verloren.

"Oft weinten wir wegen der intensiven Schönheit der Musik, und keiner wäre auf die Idee gekommen, den Zauber zu stören." (Ravi Shankar Mein Leben S. 136)
Ich vermute, dass die unterschiedlichsten Musiken solche Wirkungen auslösen können, aber es gelingt nicht immer im Konzert, über 50 Meter Distanz, nicht in der offiziell-öffentlich inszenierten Selbstdarstellung, es kann sich aus einer Unterrichtsstunde oder einer halbprivaten Situation ergeben, im engen Jazzclub oder auch wie hier im stillen Wohnzimmer des amerikanischen Bluessängers Luther Allison, 1992 in Paris, nur die Situation musikalischer Nähe muss gegeben sein, so dass die Musik ... mit Händen zu greifen ist.
6) Luther Allison: "Lightning Bolt" (Luther Allison) 4:31
Ausführende: Luther Allison, Vocal & Acoustic Guitar; Zoux, Acoustic Bass
CD Hand me down my mooshine Inak 9015 CD (LC 7703)
7) Maureen Fahy im "Four Seasons Club" Irish Tunes (trad./ohne) 3:00
(Privat-Aufnahme Reichow Dublin 12.04.1983)
Maureen Fahy, Fiddle; Patsy Broderick, Piano
(Text drüber, wie aus dem off:)
Wir befinden uns hier in einem Pub in Dublin, am 12. April 1983, ich glaube, es war der Music Pub "Four Seasons". Ganz genau weiß ich jedenfalls, dass die Fiddlerin Maureen Fahy hieß, und dass Patsy Broderick sie am Klavier begleitete. Auch andere Musiker hatten sich eingefunden, und ich habe - wie meistens auf dieser Reise - mein Sony-Cassettengerät an unauffälliger Stelle aufgebaut. Es war so hinreißend musikalisch, dass natürlich ein Honorar fällig wurde, ein WDR-Honorar.
(Musik hoch)
(Atmo Hilden)
8) Irish Pub Hilden Beethoven-Lieder mit Truike van der Poel Atmo
a) Intro Tr. (Trad./ohne) 0:30
(Text drüber)
Vom 12. April 1983 in Dublin zum 19. März 2006, im Irish Pub Hilden:
die niederländische Sängerin Truike van der Poel hat mit dem Solinger Pianisten Marc Reichow ein irisches Programm erarbeitet, aus Ludwig van Beethovens Bearbeitungen irischer Lieder, ergänzt durch ein paar Traditionals, Hammerklavier, Barockcello, Flöte.
b) Come draw we round a cheerful Ring (Trad./Bearb.: Beethoven)1:53
c) The morning Air plays (Trad./Bearb.:Beethoven) 2:56
Atmo
d) The Butcher Boy (Trad/Bearb.: Marc Reichow) 4:13
(Aufnahme privat, Reichow)
Truike van der Poel, Gesang; Evelin Degen, Flöte; Alexander Scherf, Violoncello; J.Marc Reichow, Fortepiano
Irische Lieder mit der Sängerin Truike van der Poel und Ensemble im Irish Pub Hilden.
Was man in einem solchen Live-Mitschnitt natürlich auch spürt, ist die Tatsache, dass der klassische Ansatz in dieser Musik nicht ganz so risikofrei ist wie der unbekümmerte Drive der Folk Music. Aber es ist in diesem Live-Mitschnitt immerhin etwas von der veränderten Atmosphäre eingefangen, die das klassische Konzert nicht kennt, die Nähe der Zuhörer; sie schauen mit in die Noten, jemand versucht gar mitzusummen, man interessiert sich für die Hämmerchen des Hammerklaviers und für das Kolophonium des Cellisten. Man hat die Kunst zum Greifen nah.
Ich glaube nicht, dass man Maureen Fahy in einer Pause nach der Stimmung ihrer Fiddle fragen würde, vielleicht würde man sie nach bestimmten Tunes fragen und siehe da, schon geht es damit wieder los...
9) Maureen Fahy spielt in "Four Seasons": Irish Tunes (trad./ohne) 5:00
(Privat-Aufnahme Reichow Dublin 12.04.1983)
Maureen Fahy, Fiddle; Patsy Broderick, Piano
Der Pub ist ein Ort der Nähe, nicht vergleichbar dem Speisesaal eines feinen Hotels, in dem es ebenfalls Musik gibt.
Aber man muss nicht zuhören. Man darf, aber man muss es nicht.
Wir bewegen uns jetzt in eine solche Sphäre, es ist kein Zufall, dass ein Glöckchen in der Ferne an quasi sakrale Räume erinnert.
Und die schmachtende Cantilene, die ein scheinbar desinteressiertes Stimmengewirr durchdringt, sie kann hier oder dort plötzliche Wirkung tun - "...ist das nicht...? Weißt du noch? Mein Gott, wie lang mag das her sein!"; hier sitzen nur Leute mit weit zurück reichender Erinnerung, - möglich, dass sie vorher da draußen spazieren gegangen sind, das Hotel Waldhaus liegt am Silsersee im Engadin, ein paar hundert Meter weiter befindet man sich schon auf der Halbinsel Chasté, auf einem Findling steht Nietzsches Nachtlied, das er hier gefunden hat:
O Mensch! Gib acht! Was spricht die tiefe Mitternacht?
"Ich schlief, ich schlief -, Aus tiefem Traum bin ich erwacht: -
Die Welt ist tief, Und tiefer als der Tag gedacht.
Tief ist ihr Weh -, Lust - tiefer noch als Herzeleid:
Weh spricht: vergeh! Doch alle Lust will Ewigkeit -,
- will tiefe, tiefe Ewigkeit!"
Man hört das Läuten der Kirche von Sils-Maria und erinnert sich zugleich an das schräge Lied, das Jürg Kienberger gestern im Hotel Waldhaus gesungen hat, auch er spricht vom Menschen, aber ohne Oh-Mensch-Pathos, schon weil er das Lied raffinierterweise zu hoch angelegt hat...
10) Hotel Waldhaus in Sils-Maria
Tr. 1 Und blüh'n einmal die Rosen (trad.)
1:48
Tr. 6 "Cavatina" (Raff) 3:30
Ausführende: Jürg Kienberger und Trio Farkas
Music Edition Winter & Winter W&W 910 067-2 (LC 02829)
Hotel Waldhaus in Sils-Maria im Schweizer Engadin. Und nun:
Tblissi, Georgien, 1986. Ein georgisches Gastmahl. Alle Menschen, denen wir bei Gastmählern in Georgien begegnen, können singen und wollen singen. Und es gibt diese Tradition der Trinksprüche... und des Trinkens natürlich.
11) Georgisches Gastmahl + Trinkspruch + Trinklied (trad/ohne) 3:00
Forts.: Mrawalschamier (trad.ohne) 2:50
Ausführende: Ensemble Journalisti und Freunde
Tblissi, Georgien, 1986
So schön die georgischen Trinklieder sind, - ich sehe diese Gastmähler oder sagen wir: Gastmahl-Techniken nicht mehr ganz so begeistert wie damals: es ist ja auch eine Form gesellschaftlicher Kontrolle, man muss alle Nase lang Trinksprüche und kleine Reden zum Besten geben, bei fortschreitendem und forciertem Weinkonsum, niemand kann ausscheren; ein falscher Ton wird unweigerlich wahrgenommen, man redet über Leute, die nie reden wollen... und die Tische, die sich unter der Last nicht vertilgbarer Lebensmittel biegen, sind ja auch eine Demonstration dessen, dass man es sich leisten kann, die Freunde zu überschütten, und keineswegs alle Gestalten am Tisch sprühten am Ende vor Lebensfreude.
(Musik beginnt: Sitar)
In den 60er Jahren, als indische Musiker begannen, häufiger im Westen zu konzertieren, waren sie oft überrascht, dass - trotz spürbaren Interesses - jegliche Reaktionen des Publikums während der Konzertdarbietung ausblieben.
Hinterher frenetischer Beifall, der dann womöglich zur Folge hatte, dass die Künstler sich wieder niedersetzten und Zugaben von einer Länge spielten, die vielleicht niemand gewünscht hatte. Zuweilen gingen Sie auch dazu über, das Publikum anzusprechen und plötzlich war der Bann gebrochen: beide Seiten wussten, dass Musik Kommunikation ist.
12) Imrat Khan in München "Vatapi" mit Ansprache ans Publikum 5:20
Raga Hamsadhwani / Nordindische Ragas Live
Imrat Khan, Sitar; Kumar Bose, Tabla
Deutsche Harmonia Mundi 1C 151-99 805/06
Der Sitarspieler Imrat Khan 1974 in der Musikhochschule München.
Von einem der ganz großen Sänger der nordindischen Kunstmusik, Mallikarjun Mansur, - er starb 1992 im Alter von 82 Jahren - , von ihm sind nicht nur Studio-und Konzert-Aufnahmen erhalten, sondern auch solche, die bei Auftritten im kleineren Kreis als Erinnerung festgehalten wurden. So z.B. im Cricket Club of India in Bombay oder im Privathaus eines Freundes.
Und hier haben wir 1982 tatsächlich einen Kreis von Kennern beisammen, die den Verlauf der Musik mit größter Anteilnahme verfolgen.
Man erkennt deutlich, was für eine Rolle der Tala-Zyklus spielt: man kann sich das ja tatsächlich als eine Kette von Kreisbewegungen vorstellen, oder als eine Spirale, und jede Umdrehung hat ihren Spannungsverlauf, manchmal sind mehrere Kreisbewegungen zusammengefasst, um so erregender, wenn die Bewegung dann endlich auf den Zielpunkt zu läuft, den Anfangsschlag eines neuen Kreises. Wenn Sie es bisher noch nie wahrgenommen haben, hier, live, inmitten der auserlesenen Schar fachkundiger Freunde, überträgt sich die Wahrnehmung unmissverständlich.
13) Mallikarjun Mansur: Raga Savani (Ende) 4:00
CD Mallikarjun Mansur (1910-1992) in Live Concert "The Legend lives on"
Magnasound OMI D4HV0589
Sie hörten den großen nordindischen Sänger Mallikarjun Mansur, aufgenommen 1982 bei einem Konzert im Freundeskreis. Ein solches indisches Konzert verläuft nicht in andächtiger Stille, sondern unter lebhafter Anteilnahme der Kenner.

So könnte es auch bei uns im 18. Jahrhundert gewesen sein.
Wenn man sich Johann Sebastian Bach in Leipzig vorstellt, denkt man vielleicht an die Thomaskirche, an die Nicolaikirche und vielleicht an seine Componierstube auf der Rückseite der Thomasschule, im ersten Stock, unmittelbar über dem Thomaspförtchen.
Aber wir sollten ihn uns auch mitten in der Stadt vorstellen, mit dem hervorragenden halb studentischen halb professionellen Orchester, dem Bachischen Collegium Musicum. Im größten und berühmtesten Kaffeehaus in Leipzig, das einen Saal besaß,

"der für Konzerte mit größeren Ensembles (einschließlich Trompeten und Pauken) geeignet war und bis zu hundertfünfzig Zuhörer aufnehmen konnte." (Wolff S. 379)
Hier, im Café Zimmermann, gab es eine Veranstaltungsreihe mit wöchentlichen Konzerten, sicherlich mit Gelegenheit, zwischendurch und anschließend das exclusive Restaurant zu genießen. Der Veranstalter kam auf seine Kosten, denn er kaufte sogar verschiedene Musikinstrumente, die er zusätzlich zur Verfügung stellte.
Seit 1729 betreute Bach die Reihe und brachte zahlreiche eigene Werke an die Öffentlichkeit, vokal und instrumental, oft genug in experimentellen Bearbeitungen, wie bei den Konzerten für zwei, drei oder sogar vier Cembali, die er mit seinen Söhnen und Schülern spielte. Hier hat er ein Konzert, das Antonio Vivaldi für 4 Violinen geschrieben hatte, höchst wirkungsvoll für 4 Cembali arrangiert.

14) J. S. Bach (Vivaldi) Konzert für 4 Cembali BWV 1065 1.Satz 3:58
Solisten: Ton Koopman, Tini Mathot, Elina Mustonen, Patrizia Marisaldi
The Amsterdam Baroque Orchestra Leitung: Ton Koopman
Erato 4509-91929-2 (LC 0200)
Der erste Satz des Konzertes für 4 Cembali und Orchester, BWV 1065, von Johann Sebastian Bach, nach einem Original für 4 Violinen von Antonio Vivaldi.
Ton Koopman am Cembalo I und als Leiter des Amsterdam Baroque Orchestra.
So ähnlich könnte es im Café Zimmermann in Leipzig geklungen haben.
"In den Sommermonaten verlegte Zimmermann diese Konzerte ins Freie, in seinen Kaffeegarten"
(Wolff 379);
Bach hatte Sinn für das freundliche Ambiente und bezog schon mal scherzhaft die Kaffee-Thematik ein:
15) J.S.Bach: "Ei! wie schmeckt der Coffee süße!" 4:38
Arie aus BWV 211 "Schweigt stille, plaudert nicht" Kaffee-Kantate
Anne Grimm, Sopran; The Amsterdam Baroque Orchestra Leitung: Ton Koopman
Erato 0630-15562-2 (LC 0200)
Ein Satz aus der sogenannten "Kaffee-Kantate" BWV 211 mit Anne Grimm, Sopran und dem Amsterdam Baroque Orchestra unter Ton Koopman.
Bach verwendet durchaus, wenn es passt, raffiniert volksnahe Melodien, auch hier, wenn er plausibel machen will, dass Pan mit Recht den Sängerwettstreit verliert, da baut er ihm noch plumpe Vokalwiederholungen stammeln, - wenn Pan vor Freude das Herz wa-a-a-a-ckeln soll. Denn ohne Moral läuft ein solcher Spaß dann doch nicht.
16) J.S.Bach "Zum Tanze, zum Sprunge, so wackelt das Herz" 5:50
Arie des Pan aus: "Geschwinde, ihr wirbelnden Winde"
"Der Streit zwischen Phöbus und Pan" BWV 201
Peter Lika, Bass; Akademie für Alte Musik Berlin, Leitung René Jacobs.
Harmonia Mundi HMX 2951544.45
Johann Sebastian Bach: aus der Kantate "Der Streit zwischen Phöbus und Pan", BWV 201, mit Peter Lika, Bass, und der Akademie für Alte Musik, Leitung René Jacobs.
Man tut schon einiges, um nicht nur mit Kennern, sondern auch mit Liebhabern, einfachen Freunden guter Musik im Gespräch zu bleiben.
Nur diese wenigen Beispiele für die Volksnähe der sogenannten klassischen Musik, von der wir oft zu wenig ahnen, weil das Podium so weit weggerückt ist, als ginge das Geschehen dort oben uns persönlich, in unseren alltäglichen Belangen und Bedürfnissen, nichts mehr an.

Das Jahr 1784 ist ein äußerst erfolgreiches Konzertjahr in Mozarts Leben, und er bringt es auf merkwürdige Weise in Bewegung: zu den besten Adressen in Wien gehört ein neu erbauter Gebäudekomplex, der als "Trattnerhof" bekannt wird, benannt nach dem Investor Johann Thomas von Trattner; er war einer der größten Verleger der Zeit. Seine Gattin Therese hatte bei Mozart Klavierunterricht. Und Mozart bezieht nicht nur eine Wohnung im Trattnerhof, sondern mietet darin auch einen prächtigen Raum, in dem er seine Konzerte anzubieten gedenkt.

"Wie ein Wiener Adels- und Honoratiorenverzeichnis liest sich dann die Liste der weit über hundert Subskribenten, die Mozart für ein Eintrittsgeld von 6 Gulden in drei Abonnementskonzerten hören wollen."
Sie finden im März statt und enthalten als Glanzpunkt jeweils ein neues Klavierkonzert von Mozart. In der Gattung "Klavierkonzert" hat er schon einige Erfahrung, aber jetzt erst wird daraus das, was der Mozartforscher Martin Geck, als genialen Coup bezeichnet. Mozart
"gelingt es auf einzigartige Weise, Kommunikation zwischen dem am Klavier sich aussprechenden Künstler und einem hoch motivierten Publikum herzustellen, das ganz nach seinen Fähigkeiten bedient wird, ohne dass der Komponist zu faulen Kompromissen genötigt wäre."
Das Publikum hat also Ahnung von dem, was ihm zugemutet wird und es erwartet immer wieder "Neue Sachen" von Mozart, wie er selber hervorhebt. Er ist - zumindest in diesem Jahr - Mittelpunkt des Wiener Konzertlebens: der charmante, intelligente Entertainer am Klavier. Vielleicht hat es so geklungen wie hier, nur die Akustik des Raumes wird weniger opulent gewesen sein, als Anwesende hätten wir viel dichter an den Geigen gesessen, der Solist mit den lebhaften Augen wäre zum Greifen nahe gewesen.

17) Mozart: Klavierkonzert B-dur KV 450 Satz I 10:02
Jos van Immerseel, Fortepiano, Ensemble Anima Eterna
Channel Classics CCS 1791
Der erste Satz aus dem Klavierkonzert KV 450 in B-dur. Jos van Immerseel spielte mit seinem Ensemble "Anima Eterna", was zu deutsch auch nichts anderes heißt als "Immerseel".

Wenn wir uns Mozart im Trattnerhof vorstellen, wie er aus seiner Wohnung zum Konzertsaal im selben Gebäude hinüberwandert, dort allerhand Adlige und Spitzen der Gesellschaft trifft, in deren Residenz er auch schon gespielt hat oder spielen wird, das neugierige Getuschel, was er da für den heutigen Abend wieder ausgeheckt haben mag, - das Verblüffende an dieser durchaus realistischen Vorstellung ist die Atmosphäre der Nähe: jeder kennt jeden, 120, 130 Leute sind überschaubar; stellen Sie sich einen Gemeindesaal vor oder meinetwegen den Kleinen Sendesaal des WDR, aber etwas wohnlicher, und lauter Leute aus ihrem engeren oder weiteren Bekanntenkreis, manche kennen den Komponisten schon länger, einige haben bei ihm Klavierunterricht.

Ein Club, oder sagen wir: ein Dorf, aber ein vornehmes! Ein Ort der Nähe.

Und wir dürfen nicht glauben, dass es zu Beethovens Zeit ganz anders war, nur weil es die Französische Revolution gegeben hatte und er nicht mehr zu einem gebildeten Freundeskreis sprach, sondern zur Menschheit, - der Adel spielt mindestens bis 1810 eine enorme Rolle für ihn. Und stellen Sie sich nur das bis dahin vom äußeren Format her gewaltigste Werk der europäischen Musikgeschichte vor, die "Eroica", geprobt und uraufgeführt im Palais des Grafen Lobkowitz. Wissen Sie, wie groß der Saal war? Der Festsaal?
Wie groß ist denn Ihr Wohnzimmer? Ich schätze mal 6-7 m lang, 4 m breit.

Glauben Sie, dass da ein Orchester reinpasst und auch spielen kann?
18) Beethoven Eroica 1. Satz WDR/Bychkov 1:20
WDR Sinfonieorchester Köln, Leitung: Semyon Bychkov
Vermutlich würde es etwas eng in Ihrem Wohnzimmer, auch ziemlich laut.

Aber was meinen Sie? War der Eroica-Saal des Fürsten Lobkowitz 4 oder 5 mal so groß, oder vielleicht 8 bis 10 mal so groß? Die Aufnahme, die wir gerade hörten, stammt ja aus der Kölner Philharmonie, da passen rund 2000 Leute rein, - die Bühne, das Orchester nicht gerechnet. Die Mikrofone stehen natürlich auf der Bühne, die Größe des Raumes hört man nur, soweit es der Tonmeister zulässt; und wenn es in einem kleineren Raum allzu knallig klänge, würde er alle Kunst der Mikrofonierung einsetzen, um die Akustik irgendwie akzeptabler zu machen.
Der Saal des Fürsten Lobkowitz, meine Damen und Herren, war - verglichen mit Ihrem Wohnzimmer - nur etwas mehr als doppelt so groß, allerdings wohl wesentlich höher. Die Länge jedenfalls war 15 Meter, die Breite 7 Meter, die Höhe ebenfalls 7 Meter. 1799 ließ Lobkowitz ihn mit einem Podium für das Orchester ausstatten, für das Publikum standen 18 Sitzbänke mit Lehnen und roten Leinenbezügen zur Verfügung.
Die Ausmaße des Saales besagen vor allem, dass die Sforzati und Fortissimi in diesem Raum unerhört laut gewesen sein müssen. Dass man zugleich aber von jedem Punkt im Raum aus auch die leisesten Pianissimostellen verfolgen konnte.

Stefan Weinzierl, der Beethovens Konzerträume genauestens beschrieben hat, soweit es die Zeugnisse und Baupläne zulassen, erwähnt, dass bei größeren Räumen, - die nach heutiger Vorstellung immer noch klein waren -, wiederholt ein Mangel an Klarheit, Verständlichkeit und akustischer Ausfüllung des Raumes bemängelt wurde.
Und in keinem aller Wiener Säle damals waren Zuhörer weiter als 20 m von den Ausführenden entfernt. Wirklich große Säle wie der Wiener Musikvereinssaal und überhaupt alle - nach heutiger Vorstellung - großen Konzertsäle in Wien, Berlin oder London entstanden erst im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts. Erstaunliches Fazit: Wenn ein modernes Orchester bei einer Aufführung der Eroica in der Berliner Philharmonie eine vom Klangvolumen her annähernd ähnliche Wirkung wie zu Beethovens Zeit erzielen wollten, müsste es über 1000 Musiker aufbieten.
Was wir also in den hintersten Reihen oder aus einem etwas entfernten Radio hören, bei sozialverträglicher Zimmerlautstärke, ist möglicherweise wie in Watte verpackt, ein Wolf im Schafspelz, und zwar ein recht betagter Wolf, ohne Zähne.
19) Beethoven gleiche Dissonanzstelle 50 % leiser, dumpfer +mit Hall
"Hautnah" klänge jedenfalls anders.
Ist das die Eroica? Oder nur eine ferne Erinnerung an die Eroica?

Meine Damen und Herren, zu den allermerkwürdigsten Phänomenen des modernen klassischen Konzerts, das ja durch so viele Momente der Konzentration, der Aufmerksamkeit, der stillen Emotion und der lebhaften Reaktion und Intelligenz gekennzeichnet ist, gehört das Verhalten des Publikums zwischen zwei Sätzen eines geschlossenen Werkes, wie z.B. einer Sinfonie. Sie wissen es. Man klatscht nicht, egal wie begeistert man ist. Man verharrt aber auch nicht in stiller Ergriffenheit. (Und auch die Wiederholung eines Einzelsatzes könnte man heute nicht mehr - wie zur Beethovenzeit - durch lebhaften Zwischenbeifall erzwingen.)

Was also dann?
Hier befinden wir uns in der Kölner Philharmonie beim Schubert-Abend mit Pinchas Zuckerman, die große Sinfonie C-dur, der erste Satz geht zuende..
20) Schubert C-dur-Sinfonie WDR "Stille" zwischen den Sätzen 1 und 2
WDR Sinfonieorchester Köln, Leitung: Pinchas Zuckerman
Es ist nun mal das einzige, was uns an Aktivität gesellschaftlich zugestanden wird. Egal, was für Tumulte auf der Bühne stattfindet, egal was für Herzergießungen, - alles geschieht in einer großen Entfernung, und wir dürfen im Grunde nur von weitem Zeuge sein, ohne uns in irgendeiner Form einmischen zu dürfen.
Egal wie gut man das Werk kennt: man dürfte niemals mitsingen...
Aber dann scheint irgendein psychologischer Mechanismus tätig zu werden, der den bis dahin angespannt Lauschenden und Schweigenden sagt: Jetzt bist Du dran, diese Minute gehört Dir!
Natürlich gibt es auch immer Leute, die zu früh umschalten, die vielleicht gar nicht die Besonderheit des Verklingens wahrgenommen haben, dieses Anhalten der seelischen Spannung über den manifesten Klang hinaus: sie bellen in den Pianissimo-Nachklang und verstehen die strafenden Blicke der Umgebung nicht.
Es ist schon eine merkwürdige Hörgemeinschaft im klassischen Konzertsaal, - man könnte auch sagen: an den Zwischengeräuschen hört man erst, was für eine enorme Kulturleistung das Stillhalten und Zuhören ist.

Tja, soll ich deshalb das aktive Verhalten des Rock- und Pop-Publikums herabsetzen?
Ich war jetzt selbst vor einer Woche ein einziges Mal in dieser Fußball-Weltmeisterschaft EINER von 72.000 im Olympiastadion in Berlin, und diese Dynamik der Massen hat mich sehr beeindruckt, obwohl ich letztlich unfähig war, mich da wirklich einzubeziehen.
Aber was mich nur empört hat, war die Tatsache, dass man ab eine Stunde vor Beginn des Spieles mit unglaublich lauter Musik vollgedröhnt wird, über eine Verstärkeranlage, die dieser Aufgabe nicht einmal gewachsen ist.

Das ist hoffentlich in großen Rockkonzerten ganz anders. Am Ende einer CD mit der Rockgruppe Depeche Mode, die nicht gerade für ihre kulturpolitischen Beiträge bekannt ist, hört man, dass das Publikum wie beflügelt... oder wie in Trance... allein weitermacht. "Allein" - kann man das so sagen? - im Pasadena Rose Bowl Stadion.
21) Depeche Mode "Everything Counts" (V.Clarke) Ende + Publikum 2:10
Mute Records 7243 8 41776 2 1
18. Juni 1988 im Pasadena Rose Bowl Stadion.

Unsere Musikpassagen in WDR 3 gehen zuende, ich hoffe, Sie haben etwas mitnehmen können. Konzerte sind nicht nur musikalische, sondern auch lebendige soziale Ereignisse, die zwischen Menschen von heute und sogar Menschen von einst - also Menschen überhaupt - vermitteln: Orte der Nähe, ferne Zeiten, Fast-Privates. Zurück in den Four Seasons Pub in Dublin!

(Musik beginnt)
Für Musikleihgaben und Tipps zur heutigen Sendung danke ich Marc Reichow.
Eine Musikliste können Sie anfordern oder in den nächsten Tagen auf den Internet-Seiten unter WDR 3, Sendungen, Musikpassagen finden, unsere Produktionsassistentin Eva (Habegger) Flier hat sie gerade in Arbeit. Anregungen, Kritik und Lob nimmt unser Hörer-Telefon gern entgegen, die Nummer hören Sie gleich in unserm Programmhinweis. Die Technik der Sendung lag in den Händen von Alexander Hardt.
Am Mikrofon verabschiedet sich J.R.
22) Live Irish Pub Dublin "Irish Tunes" (trad./ohne) 2:30
(Privat-Aufnahme Reichow Dublin 12.04.1983)
Maureen Fahy, Fiddle; Patsy Broderick, Piano

Literatur:

  • Stefan Weinzierl
    Beethovens Konzerträume - Raumakustik und symphonische Aufführungspraxis an der Schwelle zum modernen Konzertwesen

    Verlag Erwin Bochinsky Frankfurt am Main 2002
    ISBN 3-923639-42-2

  • Christoph Wolff
    Johann Sebastian Bach
    Frankfurt am Main 2000
    ISBN 3-10-092584-X

  • Hans-Günter Ottenberg
    Carl Philipp Emanuel Bach
    Leipzig 1982

  • Martin Geck
    Mozart
    Reinbek bei Hamburg 2005
    ISBN 3-498-02492-2
© Dr.Jan Reichow 2006



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Musikpassagen 22.Juni 2006 - Orte der Nähe, ferne Zeiten, Fast-Privates